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Die Kunst des Andersdenkens – Mit Kunstcoach Dr. Ulrike Lehmann zu neuen Horizonten

Dr. Ulrike Lehmann studierte Kunst und war u. a. als Kunsthistorikerin, Kunstvermittlerin und als zertifizierte PR-Beraterin tätig. Viele Jahre arbeitete sie als Kuratorin in größeren Museen, bevor sie sich 2012 als Art Coach für Unternehmen selbständig machte. Erfahren Sie in diesem spannenden Beitrag, wie Kunst als Coachingmethode Kommunikation, Kreativität und neue Denkweisen fördert.

Frau Lehmann, was genau ist Kunstcoaching?

Kunstcoaching, ich nenne es Art Coaching, umfasst für mich drei Bereiche: Die Weiterbildung in Kunst, den Kunstmarkt und Kunstbetrieb z.B. für Sammler oder Banker. Zum zweiten ist es Teamcoaching mit Kunst zur Förderung von Kommunikation und zum dritten ist es die Förderung von Kreativität durch Kunst. Seit kurzem bin ich zudem vom Land NRW beauftragt, Seminare zum Selbstmarketing für Künstler zu geben. Ursprünglich hat der Begriff Art Coaching eine andere Bedeutung, da geht es um die Art und Weise von Coaching im klassischen Sinne oder um Kunsttherapie, die wiederum einen anderen Ansatz verfolgt.

Wie gehen Sie bei Ihren Coaching-Sessions vor? 

Für die Kunstbildung gehe ich mit der Person in Museen, Galerien und auf Messen, zeige aktuelle und förderungsfähige Kunst sowie aufstrebende Künstler. Ich stelle Kontakte zu Influencern aus der Kunstszene her und spreche über Kunstgeschichte, ihre Entwicklung und ihre Zitierung durch Gegenwartskunst.

Für das Teamcoaching betrachte ich gemeinsam in der Unternehmenssammlung oder im Museum Bilder, die mehrdeutig oder nicht auf den ersten Blick interpretierbar sind. In diesem Team werden unterschiedliche Sichtweisen und Meinungen artikuliert. Für den Teamprozess ist es wichtig, dass jeder dem anderen zuhört und die Meinung des anderen gelten lässt. Denn in der Kunst gibt es kein richtig oder falsch. Ich stelle zwischendurch Fragen, hebe die eine oder andere Anmerkung hervor. Nicht selten kommen in diesem Prozess auch die zum Zuge, die sonst eher introvertiert sind. Bei anderen Sessions gehe ich auf Porträtmalerei vom Mittelalter bis heute ein und lasse dann gegenseitig zeichnen, um die Wahrnehmung für den anderen zu schärfen. Oder ich lasse ein Gemeinschaftsbild z.B. zu einem bestimmten Thema malen, das den Gruppenprozess fördert.

Im Kreativtraining betrachten wir Bilder und versuchen Besonderheiten herauszuarbeiten, um sich der verwendeten „Techniken“ wie Transformation, Abstraktion oder Fantasie bewusst zu werden. Die Teilnehmer bekommen Mut, anders zu denken, sich etwas zu trauen. Besonders gut funktioniert dies mit surrealistischen Werken, die sehr fantasievoll gestaltet sind. Eine Möglichkeit, neue Ideen zu finden, ist, sich von Fotos inspirieren zu lassen. Mit Kunst funktioniert dies noch viel wirkungsvoller und nachhaltiger. Bei allen Ansätzen ist mir die Vermittlung von kunsthistorischen Inhalten und Hintergründen wichtig – die Auseinandersetzung mit Werken aus der aktuellen oder vergangenen Kunstgeschichte. Als Kunsthistorikerin kann ich diesen Hintergrund bieten, was ein zusätzlicher Mehrwert für die Seminarteilnehmer darstellt.

Welche Menschen kommen zu Ihnen ins Coaching? Waren sie bereits mit Kunst in Kontakt oder betreten sie Neuland?

Meine Angebote richten sich ausschließlich an die Teams und Führungskräfte aus Unternehmen. Wenn ich mit Teams arbeite, gibt es immer eine gute Mischung von total Kunstbegeisterten, von Kunsthassern und welchen, die ab und zu ins Museum gehen, sich aber nicht intensiver mit Kunst beschäftigen.

Oscar Wild sagte einmal: “In Wahrheit spiegelt die Kunst den Betrachter, nicht das Leben.“ Was offenbart die Kunst über uns, wenn wir sie als Spiegel unserer Persönlichkeit betrachten?

Jeder, der Kunst betrachtet, bringt seine Biografie, seine Geschichte mit hinein. Man erinnert sich an etwas, was man erlebt hat oder vergleicht es damit. Somit setzt man sich unweigerlich auch mit sich selbst auseinander, wenn man Kunst anschaut. Das kann die Vergangenheit sein oder auch Sehnsüchte des noch nicht Erlebten, verborgene Wünsche und Hoffnungen, die man in das Kunstwerk hineinprojiziert.

Welche Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet Kunstcoaching und inwiefern kann es dabei helfen, verborgene Talente zu entdecken?

Durch die Begleitung während der Kunstbetrachtung können die Personen erleben, welch immensen Reichtum an Ideen, Gedanken und Interpretationsfähigkeiten sie haben. Sie lernen, darüber zu sprechen, Bilder in Worte zu fassen und das Erfahrene wiederum für sich am Arbeitsplatz nutzbar zu machen, um selbst kreativ zu werden. Das ist dann die Transferleistung, die durch professionelles Kunstcoaching gelingt.

Was kann Kunstcoaching im Business bewirken? In welchen Bereichen ist ein Einsatz sinnvoll?

Kunstcoaching ist im Business vor allem da einsetzbar, wo Kommunikation und/oder Kreativität gefördert werden sollte. Im Grunde trifft das auf alle Arbeitsbereiche in Unternehmen zu, insbesondere aber auf die Abteilung Forschung und Entwicklung.
Betrachten wir zunächst die Kreativität, denn zur Kommunikation kommen wir gleich noch. Wir befinden uns heute im größten Wandel aller Zeiten. Durch die Digitalisierung werden ganze Unternehmen umstrukturiert, von der Spitze bis zum Boden. Es braucht heute mehr denn je ein hohes Maß an Kreativität, um diesen Wandel innovativ anzugehen und am Markt bestehen zu bleiben, bzw. auch, sich eine Vorreiterrolle zu sichern. Wer jetzt nicht mitgeht und umstrukturiert, ist in Kürze verloren und vom Markt verschwunden.

Es ist demnach notwendig, Kreativität in Firmen bzw. durch ihre Mitarbeiter zu kultivieren. Es gibt eine Studie des Weltwirtschaftsforums in Davos, die die zehn wichtigsten Softskills von Managern darstellt. Stand Kreativität 2015 noch auf Platz 10, steht sie seit 2020 auf Platz drei. Das ist ein riesengroßer Quantensprung. Um diese dringend benötigte Kreativität zu fördern, ist Kunst ein besonders geeigneter Kreativmotor, weil sie alles bietet, was man dafür braucht. Durch Kunstbetrachtung und durch eigenes kreatives Gestalten kann man lernen, anders zu denken und mutig zu sein. Kunst ist zudem ein guter Gegensatz zur Digitalisierung, wo alles virtuell wird und man nur noch in den PC-Monitor oder ins Handy schaut. Kunst macht Originale in ihrer Einzigartigkeit und Haptik erlebbar.

Wie kann Kunstcoaching Kommunikation und Teamspirit in Unternehmen nachhaltig verbessern?

Wenn man mit fünf Personen vor einem Bild steht, sehen diese alle unterschiedliche Dinge, obwohl sie vor ein und demselben Werk stehen. Im Gespräch über das Kunstwerk, über das Gesehene, tauschen sich die Personen innerhalb des Teams aus. Plötzlich sagen auch diejenigen etwas, die sonst eher zurückhaltend und introvertiert sind. Jeder hört den anderen zu und lernt so, die Sichtweise des anderen zu verstehen. Die unterschiedlichen Äußerungen der anderen sind auch für eigene Gedanken und Sichtweisen inspirierend. Ganz nebenbei lernt man auch den anderen besser kennen. Denn Kunst ist ein Türöffner für Herz und Verstand. Sie regt die Kommunikation geradezu an. Menschen haben das Bedürfnis, sich über das Gesehene und Erlebte auszutauschen und sich auch zu vergewissern. Sie äußern ihre Einsichten, Ansichten und Überlegungen, teilen ihre Phantasien und Gedanken über die künstlerische Arbeit mit. So kann Teamspirit entstehen.

Nicht zuletzt ist die interne betriebliche Kommunikation von hoher Bedeutung. Gespräche mit und über Kunstwerke, die in Fluren, Büros, Besprechungsräumen hängen, beleben den Dialog der Mitarbeiter untereinander und führen – durch die Gewichtung, die die Kunst im Unternehmen hat – zur mehr Identifikation mit dem Arbeitgeber. Gerade eine gemeinsame Kunstbetrachtung ist geeignet, einander näher kennenzulernen. Denn im Gespräch erfährt man mehr über den oder die andere. Man kann unterschiedlicher Meinung sein und seinem Gegenüber mit Toleranz begegnen. Der Austausch schärft also die eigene Wahrnehmung und fordert Toleranz – gegenüber dem Kunstwerk und allen Beteiligten. Daher ist die gemeinsame Kunstbetrachtung sehr gut für Teamarbeit geeignet.

Was war die spannendste Entwicklung, die Sie in Ihren Coachings begleiten durften?

Es ist immer wieder schön zu sehen, wie sich Menschen öffnen, wenn sie mit Kunst in Kontakt kommen und wie sie dann auch mit anderen besser kommunizieren. Besonders gut gelingt das beim Porträtzeichnen.

Hat Sie das Interview dazu inspiriert, sich stärker mit Kunst auseinanderzusetzen? Entdecken Sie diese spannenden Werke, die Sie durch Ihren Prozess begleiten.

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