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Das Rätsel um den Bamberger Reiter

Was wissen wir über das früheste erhaltene, monumentale Reiterstandbild nördlich der Alpen seit der Antike?

Es lassen sich bereits im 12. Jahrhundert in Südfrankreich Reiterstandbilder finden. Diese befinden sich aber ausschließlich an der Fassade von Kirchen und nie im Kirchenschiff. Die Aufstellung eines Reiterstandbildes in einem mittelalterlichen Sakralraum ist ungewöhnlich und findet keine verwertbaren Vergleiche. Der jugendliche, bekrönte Reiter mit Tasselmantel und ohne jegliche Attribute sitzt aufrecht, im hohen Sattel seines stilisierten Pferdes. Wer dieser Reiter ist, kann nicht einstimmig beantwortet werden. Verschiedene Deutungen sollen hier vorgestellt werden. Welche ist die plausibelste?

Der Reiter im historischen Kontext

Wie auch das ganze Kirchenschiff, muss man sich den Reiter bunt bemalt vorstellen. Die Entfernung der Farbe wurde im 19. Jahrhundert unter dem bayrischen König Ludwig I. durchgeführt. Diese Polychromie wurde in den letzten Jahren wissenschaftlich von der Universität Bamberg erforscht. Überreste von Farbpartikeln wurden mikroskopisch genau untersucht. So hat man herausgefunden, dass der Mantel des Reiters blau und wahrscheinlich mit goldenen und silbernen Sternen verziert war. Auch bei der Haarfarbe fand man heraus, das es sich um braun bis schwarzes Haar gehandelt hat und nicht, wie zuvor angenommen, um blondes. Im Dritten Reich wurde der Reiter nämlich aufgrund seines Idealtypus eines germanischen Mannes zu Propagandazwecken missbraucht.

Der Bamberger Reiter, Bamberger Dom, aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts

Deutungen über die Identität des Reiters

Das Fehlen jeglicher Attribute hat zu einer Vielzahl von Spekulationen über die Identität des Reiters geführt. Man sah in dem Reiter einen der heiligen Drei Könige, Heinrich II., Phillip von Schwaben, den Heiligen Georg, Kaiser Konstantin, Kaiser Friedrich II. oder Kaiser Friedrich Barbarossa sowie viele andere historische und legendäre Figuren.

Heiliger Stephan von Ungarn

Die Theorie, das der um 975-1038 gelebte Stephan von Ungarn der Reiter ist, lässt sich im Jahre 1729 zum ersten Mal in dem Reisebericht Memorabilia Bambergensia des Wolfenbütteler Arztes Franz Ernst Brückman finden. Eine auch nur annähernd zeitgenössische Benennung ist nicht bekannt. Man geht auf Grund des Baldachins und der Tatsache, das sich der Reiter im Kirchenschiff befindet, davon aus, dass es sich um einen Heiligen handeln muss. Das Attribut der Krone, lässt außerdem auf einen König schließen.

Phillipp von Schwaben

Eine äußerst dramatische Verbindung zum Bamberger Dom weist der aus dem staufischen Adelsgeschlecht stammende Phillipp von Schwaben auf. Dieser wurde am 21. Juni 1208 in Bamberg unbewaffnet ermordet. Daraufhin wurde er im Dom beigesetzt, später dann in den Speyer Dom überführt. Hier würde das das Bild des waffenlosen Reiters passen, der wie der König von Schwaben Friedvoll war. Die Literatur spricht von ihm als ein tugendhaftes Königsvorbild. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Name Phillipp, der übersetzt der Pferdefreund heißt. Ein weiteres Argument für die Annahme, es handle sich beim Bamberger Reiter um König Phillipp. Allerdings galt er als persona non grata und war sechs Jahre mit dem kirchlichen Bannfluch belastet. Ein so monumentales Reiterstandbild in einem Sakralbau ist daher mehr als fraglich.

Messias Theorie

Bei dieser Theorie handelt es sich um eine der neuesten Deutungen, die von dem Mittelalterhistoriker Hannes Möhring im Buch „König der König“ aufgestellt wird. Möhring stützt sich hierbei auf die Bibel. So handelt es sich bei dem Reiter um den am Ende der Zeiten wiederkehrenden Messias aus der Offenbarung des Johannes (Apk: 19,11-16). Dort heißt es: „Und ich sah den Himmel offen stehen, und siehe, ein weißes Pferd, und der auf ihm sitzt heißt Treu und Wahr, und in Gerechtigkeit richtet und kämpft er.“ Der Reiter entstand unter der Regierung Kaiser Friedrichs II., zu einer Zeit, als man in Europa den baldigen Zusammenbruch der Macht des Islam und das Ende der Welt erwartete. Der waffenlosen Reiter als „König der Könige“. Als Darstellung des wiederkehrenden Messias habe er daran erinnern sollen, dass am Ende das Christentum siegen werde. Allerdings nicht durch blutige Kreuzzüge, sondern durch die Predigt von Gottes Wort.

Frühchristliche Kosmosidee

Die Darstellung des Bamberger Reiter könnte aber auch die frühchristliche Kosmosidee wiederspiegeln. Diese wurde als dreigeteilte Welt baulich symbolisiert. Der Baldachin über dem Reiter könnte somit den „oberen Kosmos“ die Civitas, die Stadt Gottes, also das Paradies oder himmlische Jerusalem symbolisieren. Die darunter befindliche Figur des Reiters auf seinem Pferd soll die Welt des „mittleren Kosmos“ zeigen, die Krone der Schöpfung als Civitas terrae, die Menschenwelt und das Tierreich. Die untere Konsole in Form einer Blattmaske könnte dann den “unteren Kosmos“ symbolisieren, die Civitas mortuorum, auch Civitas diaboli, also die Totenwelt oder als anderer Deutungsrichtung, das Pflanzenreich darstellen.

Fazit

Abschließend lässt sich sagen, dass man vielleicht weniger eine Person in dem Reiter sehen sollte, sondern sich vor Augen halten muss, dass der gotische Kirchenbau einem heilsgeschichtlichen Konzept glich. Das Figurenprogramm sollte dem mittelalterlichen Gläubigen etwas vermitteln. Dass hier weniger ein Ritter in Rüstung und Waffen, sondern vielmehr eine Art Parzival- Gestalt, dargestellt wurde. Es könnte also ein symbolischer Wert in dem Reiter stecken, so wie in einer Ecclesia oder Synagoga, die auch beide im Kirchenschiff zu finden sind und dem Heilsgeschichtlichen Konzept dienen.