Künstler

Barbara Wrede im Gespräch mit Singulart

Sie haben eine abgeschlossene Ausbildung zur Tischlerin. Inwiefern beeinflusst dies Ihre künstlerische Tätigkeit und Wahrnehmung?

Und sogar noch als Tischlergesellin gearbeitet! Zu Studienzeiten habe ich meine eigenen Keilrahmen gebaut, auch heute baue ich manchmal noch Rahmen für Zeichnungen und Fertigrahmen baue ich oft um. Das Einrahmen übernehme ich grundsätzlich selbst und alles, was ich an handwerklicher Vor- und Aufbereitung für meine Werke brauche, natürlich auch. Das traditionelle Handwerk habe ich ja von der Pike auf gelernt. Dazu gehörte auch, Arbeitsprozesse rational und ökonomisch zu planen, zu entwickeln und zu verwirklichen. Ob Tischlerin oder Künstlerin, in beiden Berufen ist Erfindungsgabe, Disziplin und eine gehörige Portion Improvisationstalent unerlässlich. Anders als in der Tischlerei kann ich im Atelier aber dem Unvorhergesehenem folgen. Das liebe ich besonders – kann man aber nicht erzwingen …
Wie könnte ich eine Idee materialisieren, welche Form passt dazu, und wie soll alles optimal präsentiert werden. Welche Hilfsmittel könnte ich mir bauen und das so, dass ich alles unabhängig von dritten im Atelier erarbeiten kann …
Diese Aspekte zum Beispiel sind den Prozessen, die ich aus dem Handwerk kenne, sehr nahe.Vielleicht kommt auch meine Sicht, den Bildträger (z.B. das Blatt) als Raum zu betrachten aus der Handwerkszeit, vielleicht wurde sie mir aber schon in die Wiege gelegt.Die Linien, wenn sie in meiner Arbeit auch als Figuration erscheinen, sind immer auch Aufteilung dieses Raumes. Jeder Strich muss sitzen. Gleiches gilt auch für die abschließende Präsentation.
Was nicht heißt, dass alles wie geleckt aussehen muss.
Als ich meinen Vater, der Tischlermeister ist, einmal fragte, wie ich eine Schraube, die für die Montage einer Treppenwange nötig war, verbergen könnte, sagte er: »Lass das Verbindungsmittel sichtbar, das sitzt gut so wie es ist und gehört doch dazu.«Daran denke ich immer, wenn ich mich »verzeichne« und der »falschen« Linie folge oder radiere und auch deshalb bleiben in manchen Zeichnungen Radierspuren oder/und Linien stehen, die korrigiert und überklebt sind – was sie ja nicht unsichtbar macht. Im Gegenteil.
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Unterschrift linkes Bild: Aus der Serie: Trautes Heim (Serie seit 2007), 70 x 50 cm, Bleistift, Tusche und Klebeband auf Papier, 2014 ©Barbara Wrede und VG Bild-Kunst, Bonn, Foto: Friedhelm Hoffmann, Berlin Unterschrift rechtes Bild: Aus der Serie: Trautes Heim (Serie seit 2007), 38 x 56 cm, Bleistift auf Papier, 2014 ©Barbara Wrede und VG Bild-Kunst, Bonn, Foto: Friedhelm Hoffmann, Berlin

Sie wählen die technische Umsetzung Ihrer Ideen nach der Grundidee aus – wie kann man sich das vorstellen? Wie gehen Sie bei der Arbeit an einem neuen Werk vor?

Am Beispiel meiner Fadenbilder kann ich mein Vorgehen ganz gut erläutern: Als meine Großmutter starb, erbte ich einige Ballen handgewebtes Leinen. Sie war Bäuerin, ihr Mann, der Vater meiner Mutter, im Krieg gefallen. Entstanden war das Leinen in Winterzeiten, in der die Arbeit auf den Feldern ruhte. Bettwäsche und Tischdecken wurden, nach dem Bleichen in der Sonne, daraus genäht – dafür noch mit Stickereien wie Hohlsaum u.a. Techniken versehen, was als Aussteuer diente. Unbehandelter Stoff wurde außerdem zum Schutz von Heu und Stroh zur trockenen Einfahrt vom Feld in die Scheune benutzt.Meine Lieblingstante, die mich zur Begrüßung immer fragte »Was macht die Kunst?«, gab mir das Leinen nach dem Tode meiner Großmutter mit den Worten »Mach Deine Kunst!«. Das war ca 1993 zu Studienzeiten und ich malte noch mit sehr pastosem Farbauftrag, der keinen Untergrund mehr ahnen liess.
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Unterschrift links: ohne Titel, 30,4 x 40,4 cm, Öl auf Leinwand, 1995-1998 ©Barbara Wrede und VG Bild-Kunst, Bonn, Foto: VBC Unterschrift rechts: Tischerücken 25,4 x 18,8 cm, Öl auf Leinwand, 1995 ©Barbara Wrede und VG Bild-Kunst, Bonn, Foto: VBC
Nichts würde von der Struktur des handgearbeiteten Leinens mehr zu sehen sein, würde ich darauf malen. Das wollte ich nicht. Erst viele Jahre später und nach unzähligen Versuchen, die Arbeit meiner Großmutter und die Struktur des Leinens sichtbar zu lassen, kam ich auf die Lösung. So entstanden Fadenbilder, die zu verschiedenen groß angelegten Serien wie »Verhandlung«, »Alltägliche Missgeschicke« oder »Paarbildungsstrategien« gehören. Die Fadenbilder vereinen unsere Arbeit zu einer generationsübergreifenden Symbiose. Das war die Grundidee. Sie entstehen ohne Vorzeichnung und direkt auf dem Leinen. Der Einsatz des künstlerischen Ausdrucksmittels – hier: der Faden – ist entschieden, linear und pur wie der Stoff, der als Träger dient.
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Unterschrift links: aus der Serie: Alltägliche Missgeschicke 40 x 30 cm, 2004 Baumwolle auf handgewebtem Leinen ©Barbara Wrede und VG Bild-Kunst, Bonn, Foto: VBC Unterschrift rechts: aus der Serie: Verhandlung 40 x 30 cm, 2007 Baumwolle auf handgewebtem Leinen ©Barbara Wrede und VG Bild-Kunst, Bonn, Foto: VBC
Meine Vorgehensweise folgt allerdings keinen Regeln, mal ist es eine Idee, für die ich solange forsche, bis ich ein passendes Material gefunden habe, mal habe ich ein Material, mit dem ich gerne arbeiten möchte. Manchmal fange ich einfach an, vertraue meiner Hand, und die Idee entwickelt sich beim Machen. Wichtig ist immer, dass eine Symbiose aus Inhalt und Form entsteht.

Wie hat sich Ihr Werk über die Jahre entwickelt zu dem hin, das es jetzt ist?

In den ersten Jahren meines Studiums malte ich nur und die Zeichnung spielte höchstens eine untergeordnete Rolle als Skizze für die Raumaufteilung meiner Gemälde oder war begleitendes Akt- oder Porträtzeichnen. Auch mein Humor kam kaum zum Einsatz, zum ersten Mal kurz nach Halbzeit des Studiums, als aus einem Selbstporträt – damals fertigte ich zur Übung jeden Tag eines an – ein Schwein wurde. Ich kann mich noch genau an diesen Moment erinnern und wie ich vor Lachen nach hinten stolperte, als ich sah, was aus mir geworden war. In der Folge entstand meine erste Serie – in ihr gesellten sich zu Schweinen auch ein paar Schafe und Hunde.
Mein künstlerisches Vokabular (ich zeichne, male, fotografiere, illustriere, schreibe… und manchmal kombiniere ich alles miteinander) erweiterte sich, als ich nach Ende des Studiums 1995 nach Berlin ging. Dort begann ich mit Cartoons und zeitgleich mit dem Bau malerischer Objekte. Meine Serien »Wartende Hunde«, eine Fotoserie, die ich noch im Studium in Kassel begonnen hatte, und »Köterclub«, die unter anderem die Ähnlichkeit zwischen Mensch und Tier, Haltung u.ä. zum Thema hat, wurden konkreter und viele Jahre später zu etwas, das ich damals noch gar nicht ahnen konnte: Seit 2012 veröffentlicht die »Berliner Zeitung« meinen »Köterclub« als Kolumne in Bild und Text in ihrem Feuilleton. 2013 erschienen die Fotos der wartenden Hunde, die ich in 20 Jahren an vielen verschiedenen Orten in und außerhalb Deutschlands aufgenommen habe, als Bildband.
Die reine Malerei, zu der sich mein Tun damals allerdings parallel entwickelte und die nur noch sich selbst zum Thema hatte, wurde immer mehr zu purer Quälerei. Nicht aufhören können, nie zufrieden, nur noch Frust und ständig umgeben von einer Terpentinwolke. Irgendwann habe ich im Atelier alles, was in Arbeit war, fett mit weißer Ölfarbe übermalt. Endpunkt. Ich hörte erst einmal ganz auf zu malen. Die Trennung war nicht einfach. Welch eine Erleichterung dann. Nach und nach nahm das Zeichnen einen immer größeren Platz ein. Bei der Zeichnung kann ich nichts vertuschen. Linien wie gefräst.
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Unterschrift links: Aus der Serie: Fremde im Dorf (Serie seit 1995), 76 x 56cm, Bleistift auf Büttenpapier, 2015 ©Barbara Wrede und VG Bild-Kunst, Bonn, Foto: Friedhelm Hoffmann, Berlin Unterschrift Mitte: Aus der Serie: Fremde im Dorf (Serie seit 1995), 76 x 56cm, Bleistift auf Büttenpapier, 2015 ©Barbara Wrede und VG Bild-Kunst, Bonn, Foto: Friedhelm Hoffmann, Berlin Unterschrift rechts: Aus der Serie: Paarbildungsstrategien (Serie seit 1995), 76 x 56cm, Bleistift auf Büttenpapier, 2015 ©Barbara Wrede und VG Bild-Kunst, Bonn, Foto: Friedhelm Hoffmann, Berlin
Das Schreiben kam dazu, das als Prozess der Malerei ja sehr ähnelt und das schließlich dasteht, wie eine Zeichnung.
Früher waren meine Werke, bis auf die Ölschinken der Schweineserie, Einzelwerke. Seit Anfang 2000 arbeite ich nur noch in Serien. Die jeweiligen Motive stehen natürlich einzeln für sich, gehören aber jeweils großen Werkkomplexen an. Mehr und mehr vermischen sich die Serien untereinander zu einer untrennbaren Einheit, die unter der Überschrift: »Über das Verschwinden« eingeordnet werden kann. An den Serien arbeite ich oft parallel und über viele Jahre. Sie tragen Titel wie »Trautes Heim«, »Fremde im Dorf« oder »Moritat vom Schweben«.
2015 begann ich mit meiner bislang umfangreichsten Serie »Nachrichten aus dem Paradies«. Sie besteht mittlerweile aus sechs Kapiteln mit unterschiedlichen Schwerpunkten, Techniken und Überschriften. Das sechste Kapitel, an dem ich gerade hauptsächlich arbeite, wirkt auf den ersten Blick wie eine Dokumentation und hat den Heiligen Abend im Dorf meiner Kindheit zum Thema. Dieses Kapitel ist ein interdisziplinäres und zu gerasterten Zeichnungen gehören Erzählungen, die sich gleichberechtigt mit den Zeichnungen zu einem Bild fügen.
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Barbara Wrede im Atelier. Kapitel VI aus der Serie »Nachrichten aus dem Paradies« (Serie seit 2015) entsteht.
Auf eine bestimmte künstlerische Technik wollte ich mich noch nie festlegen, das entspricht nicht dem Anspruch, den ich an mich als Künstlerin habe. Wenn nötig, würde ich auch singen, hoffe aber, dass das meinen Freunden und Sammlern erspart bleibt.

Sie verwenden für Ihre Werke auch fragiles Esspapier – wie kamen Sie dazu? Und mit welchen anderen Materialien würden Sie gerne mal experimentieren und arbeiten?

2002 wollte ich unbedingt an einem Wettbewerb teilnehmen, der das Werk von Lukas Cranach zum Thema hatte. Beim Einkaufen sah ich an der Kasse farbige Esspapierblättchen. Die heilige Oblate als kunstfähiges Material! Ich entwickelte eine Methode zur Verarbeitung und wie ich es konservieren konnte, ritzte dann den »Sündenfall« nach der Vorlage von Lucas Cranach in das süße Papier und montierte es auf einen Träger. Das war der Anfang.
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Paarbilder (aus der Serie: Paarbildungsstrategien) 2002, vierteilig, jeweils 24 x 18 cm, Esspapier auf Malplatte montiert, ©Barbara Wrede und VG Bild-Kunst, Bonn, Foto:VBC
Es war auch der Beginn meiner groß angelegten Serie »Paarbildungsstrategien«. Die Arbeit daran nahm ich 2004 wieder auf, allerdings nicht (nie) wieder mit farbigem Esspapier, das war mir in jeder Hinsicht zu süß.
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aus der Serie: Paarbildungsstrategien, 2004, jeweils 24 x 22 cm, Esspapier auf mdf-Platte montiert, ©Barbara Wrede und VG Bild-Kunst, Bonn, Foto: VBC
2005 schuf ich die Serie »Männer, die sich ausziehen«, ebenfalls mit Esspapier und in Kombination mit Buntstiftzeichnungen, wobei das Esspapier den Raum bildet, der die Figuren umgibt.
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aus der Serie: Männer, die sich ausziehen, 2005-2008, jeweils 24 x 22/22 x 24 cm, Esspapier und Buntstift auf mdf-Platte montiert, ©Barbara Wrede und VG Bild-Kunst, Bonn, Foto: VBC
2008 dann begann ich, inspiriert von Kopfdarstellungen alter Meister wie Rogier von der Weyden, Hohlbein, Cranach u.a. kleinformatige Federzeichnungen anzufertigen. Klare Formen, Linie möglichst nicht unterbrochen, alles in einem Fluss. Diese Klarheit der Form wollte ich weiterentwickeln. Motive, verankert im kollektiven Gedächtnis der Bilder, so benutzen, dass sie Erinnerungen beim Betrachten hinterlassen, Erinnerungen an Bilder, die man irgendwo schon einmal gesehen hat, aber die doch ganz anders sind. Dabei griff ich 2013 auf Esspapier zurück. Diesmal im größeren Format und statt mit spitzen Gegenständen Motive hinein zu ritzen, begann ich, in das Material Konstruktionen von Linien und Flächen zu schneiden. So entstand die Serie »Die Kappen der Anderen«.
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aus der Serie: Die Kappen der Anderen, 2015, 58 x 47,3 cm, Esspapier auf mdf-Platte montiert, ©Barbara Wrede und VG Bild-Kunst, Bonn, Foto: Friedhelm Hoffmann, Berlin Ausstellungsansicht: Über das Verschwinden – die Kappen der Anderen, Schwartzsche Villa, Berlin 2016, ©Barbara Wrede und VG Bild-Kunst, Bonn, Foto: VBC
Ob mich ein bestimmtes Material lockt, mit dem ich bislang noch nicht gearbeitet habe? Kommt Idee, kommt Material, meistens in dieser Reihenfolge, manchmal auch anders herum.

Welche sind Ihre künstlerischen und persönlichen Highlights Ihres künstlerischen Schaffens?

Wenn nach langer Inkubationszeit ein diffuser Gedanke zu Idee zu Inhalt wird und wie selbstverständlich die Form dazu kommt. Ganz in dieser Planung versinken, mit der Umsetzung beginnen und den Linien folgen – egal wohin sie führen. Wenn mir dann ein »Fehler« passiert oder ich etwas nicht so hinkriege, wie es geplant war und ich komplett umdenken muss und dadurch ein neuer Weg aufgezeigt wird, neue Ideen daraus entstehen, die mich überraschen und alles viel besser ist, als es planbar war und wenn alles immer wieder ganz anders ist, das ist zweifellos ein Highlight für mich.
Highlights können aber auch Ausstellungen und einzelne Werke sein.Werke, die mich berühren, die zeitlos sind und ihre Allgemeingültigkeit im Laufe der Jahre nicht verloren haben, dabei ist es egal, ob sie aus der bildenden Kunst, Literatur, Musik oder Film kommen. Es sind die Ideen, die präzise zur Vollendung gebracht werden, das stimmende Gesamtpaket; beeindruckend finde ich auch immer wieder Animationsfilme, manchmal kommen mir dabei aus Demut vor dem künstlerischen Tun und der konsequenten Umsetzung die Tränen.
Aber auch praktische Alltagsideen können mich beflügeln, meine Schwester Anja hat einmal einen Kochlöffel zur Reparatur in eine kaputte Klospülung eingebaut und dadurch den Drücker ersetzt, toll!
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