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„Das Frühstück im Grünen“ von Édouard Manet

Meisterwerke: „Das Frühstück im Grünen“ von Édouard Manet

1863 in Paris unter Kaiser Napoleon III.: Erstmals werden kontroverse Werke, die von der Jury der Kunstakademie für Ausstellungen im Pariser Salon abgelehnt wurden, an einem neuen Ausstellungsort präsentiert: dem Salon des Refusés – dem Salon der Abgelehnten. Von Édouard Manet wurden in dem Jahr gleich drei Gemälde dort gezeigt, darunter eines seiner berühmtesten Werke überhaupt, „Das Frühstück im Grünen“. Mit dem 208 mal 264,5 cm großen Bild in Öl auf Leinwand schuf der Impressionist Manet eines der größten Meisterwerke des 19. Jahrhunderts, provozierte einen Skandal und brach mit dem Klassizismus der Malerei.

Ein Picknick wie kein anderes

Falls es wirklich Manets Absicht war, das Paris des späten 19. Jahrhunderts zu schockieren, hätte er kaum eine bessere Wahl treffen können. Sein Gemälde stellte eine unaussprechliche Vulgarität dar, brachte Dekadenz auf die Leinwand und unterschied sich in Stil und Realisierung stark von den Normen der Zeit.

In einer eher fiktional anmutenden Landschaft teilen vier Personen ein Picknick miteinander, genießen die Ruhe inmitten der Natur des Waldes. Doch der Blick des Betrachters wird unweigerlich auf den nackten Körper der sitzenden jungen Frau gelenkt, die zudem von zwei Männern flankiert ist. Die bildende Kunst dieser Zeit betonte Weiblichkeit durch Allegorien und Mythologie, während Manet hier einen völlig anderen Weg einschlug. Zwei berühmte Werke dienten ihm dafür als Inspiration: Als thematischer Einfluss ist das „Ländliche Konzert“ von Tizian zu sehen, während die Positionierung der Charaktere dem „Urteil des Paris“ von Raffael nachempfunden wurde.

4 Details des Gemäldes

1.Victorine, wie sie leibt und lebt

Die zentrale Figur des Gemäldes ist die reale Person Victorine Meurent. Sie stand Manet immer wieder Modell und ist auch in seinem Werk „Olympia“ zu sehen. Manet schuf es im selben Jahr, es führte ebenso zu einem Eklat und wurde auch im Salon des Refusés ausgestellt. In „Frühstück im Grünen“ sieht Victorine uns direkt an, frei von jeglicher Scheu oder Scham, fast selbstgefällig. Inmitten der Bäume sitzt sie hell beleuchtet im Rampenlicht. Ihr Körper ist eine wirklichkeitsnahe Darstellung. Anders als in der akademischen Malerei der Zeit üblich, sind Falten zu sehen statt mystischer Schönheitsideale, die mehr an Nymphen als an Menschen denken lassen.

Auch die beiden Männer an ihrer Seite sind Personen aus der Realität. In der Mitte ist Ferdinand Leenhoff zu sehen, Bruder von Suzanne Leenhoff (der späteren Frau Manets), rechts Eugène Manet, einer der Brüder des Malers. Dunkel bekleidet bilden beide einen starken Kontrast zum leuchtenden Weiß von Victorines Haut. Bart, Barett und Gehrock ihres Gegenübers sind tiefschwarz. Als weiterer Kontrast richtet keiner der beiden Männer den Blick auf den Betrachter.

2.Köstlichkeiten und vereinzelte Kleidungsstücke

Während die Szene als Ganzes ruhig erscheint, deutet der umgekippte Picknickkorb darauf hin, dass hier Bewegung stattgefunden hat. Die vereinzelt fallengelassenen Kleidungsstücke verstärken den sinnlichen und dekadenten Charakter der Szene. Offensichtlich hat sich niemand darum gekümmert, den Korb vor dem Umfallen zu bewahren oder die Köstlichkeiten wieder aufzuheben. Manet hinterließ auch einen weiteren Hinweis darauf, dass es sich hier um inszenierte Ateliermalerei mit Dekorationseffekten handelt, indem er Kirschen, Trauben und Pfirsiche nebeneinander positionierte, die nicht in derselben Jahreszeit zu finden sind.

3. Ein überdimensionierter Badegast

Die Frau im Hintergrund ist Alexandrine Meley, mit Manet befreundet und die spätere Ehefrau von Émile Zola. Sie trägt nur ein Unterkleid und scheint ein Bad im Fluss zu nehmen. Während Manet die drei anderen Charaktere in realen Proportionen darstellte, wirken Alexandrines Dimensionen irreal. Manet brach bewusst mit den Gesetzen der Perspektive für die dreidimensionale Malerei. Nachdem die Badende ein ganzes Stück von der Gruppe entfernt ist, müsste sie kleiner sein. Dies ist eine der Eigenschaften des Gemäldes, das es wie ein aus einzelnen Teilen zusammengesetztes Gesamtwerk wirken lässt und Kunstkritiker zur Weißglut getrieben hat.

4. Frosch und Vogel

Obwohl beide auf den ersten Blick nicht auffallen, sind sie nicht unbedeutende Details des Gemäldes. Zentriert ganz oben auf der Leinwand ist ein kleiner Vogel in vollem Flug zu sehen, ein Dompfaff. In der linken unteren Ecke ist ein Frosch, der sich als Gegenstück zum flatternden Vogel nach rechts bewegt. Der Vogel wurde mit großer Sorgfalt gemalt, während beim Frosch die Pinselstriche zu erkennen sind.

Kunstkritiker ließen natürlich auch dieses Detail nicht aus. Zum einen gibt es die Theorie, dass Manet dieses Motiv als Hommage an Tintorettos „Susannah“ eingesetzt habe, auf dem zwei kleine Frösche zu sehen sind. Was dafür spricht, ist die Tatsache, dass Manet bereits zuvor für andere Gemälde Details aus Tintorettos Werk ausgeborgt hat. In eine ganz andere Richtung geht die Theorie, dass das französische Wort für Frosch, „grenouille“, im damaligen Paris unter Studenten ein gebräuchlicher Ausdruck für Prostituierte war.

Provokation oder künstlerische Studie?

„Frühstück im Grünen“ vereinte zwei Welten, die der Tradition und die der Moderne – ein liberaler Ansatz, der nicht jeden überzeugte. Zugleich stellt das Gemälde ein Paradoxon dar. Manet verabschiedete sich dezidiert vom Realismus, indem er falsche Perspektiven und eine zweidimensionale, flache Malerei einsetzte. Dagegen ist der Blick, den uns die nackte Victorine zuwirft, überwältigend real.

Manet machte es Spaß, Stillleben mit Porträt-, Landschafts– und Aktmalerei in einem Werk zu verbinden. Für den Schriftsteller Émile Zola ergab genau diese Kombination „das großartigste Gemälde von Édouard Manet“. Seiner Meinung nach ging es Manet weniger um hypothetische Gedankenspielereien rund um Voyeurismus als um eine künstlerische Erforschung von Farbtönen und Kontrasten. Dem gegenüber stehen die Theorien, dass Manet nichts lieber tat, als einen ordentlichen Eklat heraufzubeschwören. Die Wahrheit mag irgendwo in der Mitte liegen.

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