Über uns  •  Unsere Partner

retrospektiven: Kunst, subjektiv

Singulart ist im Gespräch mit dem deutschen Kunstblogger Kai Eric Schwichtenberg, dabei geht es seinem Blogg RETROSPEKTIVEN vor allem darum, Kunst subjektiv zu präsentieren und mit anderen seine Leidenschaft zu teilen.

Stell Dich kurz vor!

Hier bin ich Blogger, Autor, Enthusiast. Meine Texte sind für mich auch Tagebucheinträge. Wenn ich sie Monate oder inzwischen gar Jahre später noch einmal lese, dann bin ich wieder Ich an diesem Ort und in der Zeit. Und ich erlebe die ständige Veränderung. Mein Geschmack ändert sich, meine Interessen, die Kunst ändert sich, die Umgebung, der Freundeskreis, das Leben. Ich bin in Düsseldorf geboren, ich lebe in Münster, wo ich auch studiert habe, ich begeistere mich für Kunst und Kultur, ich schreibe gerne, ich rede gerne, ich verkaufe Bücher. Das sind ein paar Konstanten. Meine Texte sind auch Biografie, ziemlich versteckt, und vielleicht nur für mich, aber das reicht ja auch. Für alles weitere habe ich Freunde, denen ich jede Beurteilung überlasse.

Über was schreibst Du in Deinem Blog? Und an wen ist er adressiert?

99 Mal Kunst erleben. Das ist der Stand der Dinge Anfang 2018. Da sind kurze und lange Texte, intensive, beschreibende, erklärende, persönliche und solche mit gehörigem Abstand. Ich schreibe über Dinge die ich sehe und über das, was Sehen in mir auslöst. Ich schreibe über Ausstellungen, über Kunstprojekte, über Menschen und Erinnerungen. Denen reise ich manchmal entgegen, geplant und bewusst, manchmal ergeben sie sich aber auch durch zufällige Anwesenheit. Manchmal ist das Geld die Grenze, manchmal die Zeit. Ich schreibe für mich und versuche so viele Menschen wie möglich zu erreichen. Ich hoffe immer, dass ich die Kunstexperten nicht verstöre und die Kunstlaien nicht verschrecke.

Was unterscheidet Deinen Blog von traditionellen Kunstmagazinen?

Meinen Blog gibt es jetzt seit über zwei Jahren. Ich traue mich also, ihn schon auch einen ‚traditionellen’ Blog zu nennen. Er ist eben nur noch nicht so etabliert wie etwa die Kunstmagazine, die ja vor allen Dingen in ihrer klassischen Printvariante leben. Das ist ein Unterschied, der wohl bleiben wird. Und natürlich, auch weil ich im Unterschied zu den Magazinen alleine arbeite: weniger Rubriken, keinen festen Erscheinungstermin. Ich bin auch kein Journalist oder Kunsthistoriker. Das mag zwar nicht Grundvoraussetzung für die Mitarbeit bei einem Magazin sein, aber das wird sich eben auch nicht ändern. Im Untertitel heißt mein Blog ‚Kunst, subjektiv‘. Das ist mir immer noch ein wichtiger Zusatz, eben auch als Kriterium für die Maßstäbe die ich an meine Arbeit anlege und die andere anlegen können. Darin steckt Freiheit und Verantwortung. Und es gibt bei mir keine Werbung! Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten die mir wichtig sind: auch meinen Blog kann man ‚abonnieren‘ — kostenlos, und ich freue mich über Resonanz!

Wie kamst Du zum Bloggen? Und wie kamst Du dazu über Kunst zu schreiben?

Auch wenn es inzwischen ja ziemlich schwierig ist, in Zügen einen Platz zu finden, an dem man das Fenster öffnen kann, um den Kopf frei zu bekommen: es war auf einer Zugfahrt, eine Freunde beneidete mich um meine zahlreichen Reisen zu Ausstellungen in Nah und Fern, forderte mich auf, doch darüber (gefälligst) zu bloggen, und schon war Platz im Kopf für die Idee und ihre Umsetzung! Herzlichen Dank und manchmal ist es so einfach. Und warum Kunst? Ich könnte einfach nicht ohne, und am besten liegt die Arbeit dort, wo die Leidenschaft liegt, oder?

Du bist zudem als Buchhändler tätig, in wie fern geht das miteinander einher?

Bücher sind herrliche Produkte und ich lese für mein Leben gerne. Inzwischen deutlich häufiger Ausstellungskataloge und kunsttheoretische Texte als Romane. Bücher und Kunst: das ist Kultur. Dafür brenne ich, dafür werbe ich, da ist die Gemeinsamkeit. Buchhändler ist mein Beruf. Mit ihm verdiene ich das Geld für meine Ausflüge zu Ausstellungen und für Kataloge, er bewahrt mir so Unabhängigkeit, wo ich sie in Anspruch nehmen möchte. Allerdings schränkt er mich natürlich zeitlich auch ein. Hätte ich die Wahl: ich hätte nur diesen Blog und könnte davon leben.

Welche Kunstrichtung und welches Genre sagt Dir am meisten zu und warum?

Ich habe vorhin ja schon erwähnt, dass Wahrnehmung, Geschmack und Umstände — glücklicherweise — einem ständigen Wandel unterliegen. Und so ergibt es sich dann auch mit Präferenzen bei Kunstrichtung und Genre. Ich hoffe wirklich sehr, dass man meinen Texten anmerkt, dass ich mich für das Thema, die Künstler, das Genre, die Richtung, den Ausdruck und Stil begeistere, mit dem ich mich gerade auseinandersetze. Und ich hoffe, das hinterlässt damit nicht den Eindruck von Beliebigkeit. Ich stehe ebenso gerne stundenlang vor einem Gemälde von Tintoretto wie vor einem von Richter oder Diango Hernandez, in einem Raum von Turrell wie von Rosenquist oder Gregor Schneider, vor einer Arbeit von Rebecca Horn, wie von Isa Genzken oder Wu Tsang, in einer Performance von Anne Imhof, Alexandra Pirici oder Franz Erhard Walther…

Welche Künstler bewunderst Du?

Ich bewundere vor allem die Künstler, die ich auf ihrem Weg aus der Nähe begleiten kann. Das sind vor allem Freunde aus der Kunstakademie, manchmal etablierte KünstlerInnen, denen ich zum Beispiel im Kunstverein begegne. Dazu kommen Bewunderungen aus der Ferne, geografisch und zeitlich. Eine kleine Auswahl, so wie es mir gerade einfällt:

Gerhard Richter, Camille Henrot, Cyprien Gaillard, Anne Imhof, Wolfgang Tillmans, Diango Hernandez, Thomas Demand, Jorinde Voigt, Annette Kelm, Jenny Holzer, Otto Piene, Ed Atkins, Tobias Zielony, Verena Issel, Malte van de Water, Lena Dues, Franziska Klötzler, Jon Rafman, Inga Krüger, Dieter Roth, James Rosenquist, Maria Lassnig, Eva Hesse, Jan Hoeft, Christian Odzuck, Otto Freundlich, Cindy Sherman, Julian Rosefeldt, Louise Bourgeois, Sigmar Polke, Christina Berning, Reiner Ruthenbeck, Peles Empire, Martin Boyce, Alicja Kwade, Monica Bonvicini, Noah Heupel, Olafur Eliasson, Elmgreen & Dragset, Nicolas Party, Nan Goldin, Raphaela Vogel, Pipilotti Rist, Nicole Eisenman, Yves Netzhammer, Julius von Bismarck, Andreas Gursky, Anna und Bernhard Blume, Bernd und Hilla Becher, Félix González-Torres, Hito Steyerl…

Welche Ausstellung hat Dich am meisten beeindruckt und welche Museen findest Du, sollte man in Deutschland gesehen haben?

Weil sie die Seele erreicht hat: ‚Otto Freundlich – Kosmischer Kommunismus‘, im Museum Ludwig, Köln.

Weil sie den Geist erreicht hat: ‚The Boat is Leaking. The Captain Lied‘, in der Fondazione Prada, Venedig.

Weil sie den Körper erreicht hat: die ‚Skulptur Projekte‘ in Münster.

Weil sie alles erreicht hat: ‚FAUST‘.

Ich möchte gar nicht groß Werbung für ein bestimmtes Museum machen. Jedes Museum, das sich in großer Ernsthaftigkeit, mit Freude, Enthusiasmus und in Unabhängigkeit der Kunst widmet, verdient jede mögliche Aufmerksamkeit und Anerkennung.

Ich möchte allerdings eine Institution hervorheben, die für mich stellvertretend für diese Begeisterung an der Begeisterung steht und ausserdem für eine sehr deutsche ‚Kunsteinrichtung‘: Jeder Besuch im Westfälischen Kunstverein ist eine Bereicherung!

Wie schätzt Du die aktuelle Kunstszene in Deutschland ein – was sind Trends, denen es zu folgen gilt?

Was wäre die Kunstszene, wenn sie nicht in erster Linie mit sich selbst beschäftigt wäre? Vermutlich ist sie auf einer Party in Berlin und feiert sich und alle und alles was dazugehört, oder sie zerreibt sich zwischen Politik und Institution.

Wenn es so ausschließlich stimmen würde, würde ich sagen: es gilt, jenen zu folgen, die nicht auf dieser Party sind und sich nicht zerreiben lassen. Jenen, die die Ernsthaftigkeit der Situation und die Kraft der Kunst erkannt haben.

Ich glaube, es gilt der politischen Kunst zu folgen. Der Kunst der Kritik, der Offenbarung, des Protestes, der Auflehnung. Der Kunst, die Trend ist, weil sie relevant ist für einen Diskurs zu gesellschaftlichen Entwicklungen. Für mich liegt dabei der Fokus gerade sehr stark auf Video und Performance. Ich glaube aber nicht, dass allein das noch als Trend durchgeht. Ich würde in diesem Jahr jedem empfehlen, sich die Programme der zahlreichen Kunstvereine in Deutschland sehr genau anzusehen. Wenn meine Hoffnung, dass Kunst politischer wird, sich bewahrheitet: hier wird man das ganz sicher zuerst sehen, und ich bin da sehr optimistisch!

Der Kunstmarkt ist noch relativ undigitalisiert – wie siehst Du Deine Rolle als doch sehr digitaler Kunstblogger im Kunstgeschehen verortet?

Das art-magazin hat gerade seine Repräsentanz im Internet aufgegeben. Ich könnte sagen: da wird ein Platz frei! In Wahrheit aber ist das ja aus einem bestimmten Grund geschehen, und es wird vermutlich auch nicht der letzte freiwerdende Platz. Vermutlich werde ich also in absehbarer Zeit unter dem Radar der Werbewirtschaft fliegend bloggen, und das ist auch in Ordnung.

Ich sehe mich mit meinem Blog als ernsthaften Partner der Interessen von Kunst und Kultur in dem Rahmen, in dem mir das eben möglich ist. Ich sehe mich als Multiplikator, als Meinungsbildner, als Inspirationsquelle.

Und ich sehe mich als Gesprächspartner und möchte auch gerne noch stärker als solcher wahrgenommen werden. Das betrifft auch den Kontakt zu Künstlern. Ich habe ja die Freiheit, Formate auszuprobieren. Und ich hoffe, dass ich bald zu, Beispiel mit Interviews und Atelierbesuchen meinen Blog auch als Forum für diese Künstler anbieten kann. Ich glaube, hier entsteht wohl am ehesten die Schnittstelle zum Kunstmarkt, ohne dass ich mich dabei als Galerist verstanden wissen wollte.

Welche Rolle spielt Kunst Deiner Meinung nach in der Gesellschaft?

Nicht die, die sie spielen müsste, nicht einmal die, die sie spielen könnte.

Singulart bedankt sich herzlich für das Gespräch!

Hier geht es zum Blog RETROSPEKTIVEN:https://retrospektiven.wordpress.com/

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert