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Gastartikel: Digitale Wandgemälde zwischen Mensch und Maschine

© David Gomez Del Rio

Gekonnt geschwungene Pinselstriche in harmonisch kombinierten Formen und Farben auf Leinwand: Die Werke von Siebren Verstreeg wirken auf den ersten Blick wie klassische Meisterwerke der Gemälde-Kunst, verbergen aber ein ganz besonderes Geheimnis. Die Bildelemente wurden nicht per Hand gemalt, sondern vorab programmiert. Immer mehr Künstler arbeiten mit den digitalen Möglichkeiten und spielen dabei sowohl mit der planbaren Genauigkeit als auch mit den spannenden Zufällen, welche die Technik mit sich bringt.

Die programmierten Werke von Siebren Versteeg

Die digitale Kunst gewinnt sowohl in der Szene als auch in der Gesellschaft immer mehr an Bedeutung. Es gibt Stimmen, die die digitale und analoge Welt in Konkurrenz zueinander sehen. Doch immer mehr Menschen erkennen, dass sich beide Seiten bereichern anstatt sich gegenseitig zu verdrängen. Dass sich analoge und digitale Kunst nicht ausschließen müssen, zeigte der New Yorker Künstler Siebren Versteeg in seiner Ausstellung „Mirror Finish“ in der DAM Gallery Berlin. Dort präsentierte er digitale und internetbasierte Bildschirm- und Leinwandarbeiten, in denen er sich mit den Verhältnissen von Mensch, Medien und Technologien auseinandersetzt. Verstreeg nutzt Algorithmen und Programmierungen, um seine Werke zu kreieren. Dabei spielt er auch mit dem Zufall. Seine Reihe „Today Series“ ist beispielsweise eine Bildsynthese aus digital erzeugten Pinselstrichen und zufälligen Bildschnipseln aus dem Internet. Die Elemente wurden zufällig kombiniert und scheinbar auf Leinwand gedruckt. Bei genauerem Hinschauen wird deutlich: Es handelt sich um eine glatte Oberfläche – der Leinwand-Effekt entstand bereits digital. Was aussieht wie Zeichnungen, Malereien oder Collagen, ist in Wirklichkeit digitale Kunst, hinter der ein ausgeklügeltes System von Programmierungen und Algorithmen steckt.

Lebendige Gemälde als digitale Wand-Choreografie

Bilder müssen längst nicht mehr regungslos an der Wand hängen. Das beweist die digitale Bildkunst von Julian Opie. Er ist einer der bedeutendsten britischen Gegenwartskünstler und erweckt seine Darstellungen zum Leben. Die minimalistischen Figuren bewegen sich und bleiben dennoch ständig im Bild. Genauer gesagt im Flachbildschirm oder Display. Dies ist der einzige räumliche Bezug, den die Darstellung hat. Die Figuren selbst sind als computergesteuerte Animationen in einer fortlaufenden und fließenden Bewegung zu sehen. Dies erzeugt einen ganz eigenen, modernen und surrealistischen Effekt.

Ersetzt die Maschine den Menschen?

Vor ein paar Jahren zeigte eine Website mit einem „Visual Turing Test“ die Faszination und gleichzeitig auch die Schattenseite der technischen Möglichkeiten. Hier konnten die Nutzer herausfinden, ob sie es schaffen, echte Gemälde von technikbasierten Darstellungen zu unterscheiden. Dazu wurden handgemalte Werke computergenerierten Arbeiten gegenübergestellt. Die Betrachter mussten erraten, welches der Motive von Menschenhand kreiert wurde. Und das ist gar nicht so einfach: Über 41.000 Menschen lagen im Durchschnitt bei ca. sechs von zehn richtigen Antworten. Das ist kein Wunder, da die Kunst durch eine Formel täuschend echt imitiert wird. Dies gelingt durch einen Algorithmus, der die Gemälde berechnet. Entwickelt wurde er von Tübinger Forschern. Das System ist so aufgebaut, dass es anhand von existierenden Vorlagen Malstile erkennt. Mit der Zeit sammelt es so immer mehr Informationen über die Optik der Kunstwerke, zum Beispiel über die Strichführung, Farben, Formen und somit auch über den Stil des Malers. Beliebige Fotos können so mit dem Stil großer Maler übermalt werden. Es lässt sich darüber streiten, ob die technische Präzision die Kunst nicht nur bereichert, sondern sie potentiell auch unterdrücken kann. Grundsätzlich besteht immer ein Risiko der Nachahmung, dass die Einzigartigkeit der Werke und die Wertschätzung ihrer Künstler untergraben kann. Andererseits sind Malstile urheberrechtlich nicht schutzfähig und die Motive veränderbar.

Digitale Wandgemälde als innovative Collagen

Die Besonderheit der Gemälde liegt wohl darin, dass sie eine Art Collage aus digitalen und analogen Elementen sind, hinter denen Meisterwerke technischer Strategien stecken. Der Wert der Kunst liegt demnach vor allem in der Konstruktion der Meta-Ebene. Das Programmieren ist wie ein Komponieren von Zahlen und technischen Verbindungen, bei dem das Ergebnis bereits mitgedacht wird. Letztlich beginnt Kunst aber immer beim Menschen.

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Gastartikel von: Julia Knorr von NeoAvantgarde

NeoAvantgarde – das Berliner Online-Magazin für digitale Kunst und Kultur

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