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Andy Warhol und die Politik der Pop Art

Als einer der enigmatischsten Künstler des 20. Jahrhunderts ist der Einfluss Andy Warhols auf Kunst und Kultur auch heute noch omnipräsent. Der in Pennsylvania geborene introvertierte Künstler führte die Bewegung der sogenannten Pop Art an, die die zügellose Celebrity- und Konsumkultur widerspiegelte.

Die Pop Art entstand aus der Unzufriedenheit junger Künstler mit den Kunsthochschulen der 1950er- und 1960er-Jahre: Keine dort gelehrten Stile und Kunstbewegungen reflektierten die Alltagsrealitäten der Studenten und bildeten vielmehr Trends ab, die bereits da waren und wieder verschwanden. Kreativität gilt gemeinhin als eine Konsequenz von Banalität – Pop Art bildet da keine Ausnahme. Es war eine Zeit, in der die Gesellschaft von Konsumkultur und Sexsymbolen vereinnahmt wurde, in der Schauspieler und Musiker einflussreicher waren als Politiker, und eine Nachkriegsgeneration sich gegen das Establishment aufzulehnen suchte. 

Populär (für die Masse vorgesehen); vergänglich (kurzlebige Lösung); entbehrlich (einfach zu vergessen); niedriger Preis; Massenproduktion; jung (auf die Jugendkultur abzielend); geistreich und witzig; sexy; marktschreierisch; glamourös; das große Business.

Richard Hamilton über Pop Art
Times Square 1965
Der Times Square, 1965

Zu Ruhm schafft es Andy Warhol mit seiner ganz persönlichen künstlerischen Aneignung populärer Bilder: Massenprodukte (die berühmte Campbells Suppe) sowie Personen des öffentlichen Lebens, wie Marilyn Monroe, Mick Jagger und Elvis Presley. Mit seiner Obsession für den Status der Stars und Sternchen, dem Aufstieg der Konsumkultur und der offenkundigen Natur von Counterculture-Bewegungen war es ihm möglich, dies alles durch seine Kunst zu reflektieren. Mit der Fetischisierung vom Produkt sowie Menschen verkörpert die Pop Art die Essenz des Amerikas der Mitte des 20. Jahrhunderts. Ob er dies beabsichtigt hatte oder nicht, indem er sich die Ikonografie der 1960er und 1970er zu eigen machte, wurde er selbst zum Symbol dieser Zeit.

Warhol, Marilyn
Andy Warhol, Marilyn Monroe (1967)

Die Geschichte lehrte uns, dass viele eigentlich introvertierte Künstlerpersönlichkeiten besonders einflussreiche Kunst schufen. Vielleicht liegt es in der Natur des Introvertierten, nicht aktiv teilzunehmen, sondern zu observieren und das ans Licht zu bringen, was die Menschen, die vom Konsum und ihrer Umwelt bereits vereinnahmt sind, nicht wahrnehmen können. In dieser Hinsicht ist Warhol ein wahrer Künstler. Er war sowohl als Charakter, als auch in seiner Erscheinung ein eigensinniger Mann. Genau dieser Mythos, den er um sich kreierte, sorgte dafür, dass man nie wusste was man zu erwarten hatte.

In einer sich nach immer mehr Stimulation sehnenden Gesellschaft traf Warhol mit seiner Art das Banale festzuhalten den Zahn der Zeit. In seinen Video-Arbeiten, beispielsweise dem Werk Empire (1964), bei der die Kamera 8 Stunden auf das Empire State Building gerichtet ist, erinnerte er das Publikum daran, sich nicht zu sehr im geregelten Alltag zu verlieren sondern sich mehr dem Moment sowie der Welt um uns herum hinzugeben. Ein anderes Beispiel für seine Vorliebe zum Stilmittel des Monotonen ist seine Beteiligung in Jørgen Leths Filmprojekt mit dem selbsterklärenden Titel „Andy Warhol isst einen Hamburger“.

Politiker und Schauspieler können ihre Persönlichkeiten ändern wie ein Chamäleon.

Andy Warhol

Andy Warhol wurde als politisch neutral eingeschätzt, sein Status in der Popkultur jedoch machte ihn oft zur Marionette der Politiker, mit dem Ziel sich die Unterstützung der jüngeren Generationen zu sichern. Als die Demokraten Warhol während des Wahlkampfes 1972 darum baten, ein Werk für ihren Kandidaten George McGovern anzufertigen, nutze er das entfremdete Gesicht des republikanischen Gegenkandidaten Richard Nixons und fügte darunter den Text „Wählt Mc Govern“ hinzu. In der darauffolgenden Wahlperiode trat Präsident Jimmy Carter mit Warhol in Kontakt und bat diesen um sein Porträt für den Wahlkampf 1976, aus dem er als Sieger hervorgehen sollte.

Warhol, Vote McGovern
Andy Warhol, Vote McGovern (1972)

Obwohl die Bewegung der Pop Art oft als US-Phänomen beschrieben wird, gab es auch in Europa provokante künstlerische Produktionen im unverkennbaren Pop Art Stil. Dazu zählten beispielsweise die Werke der britischen Künstler Richard Hamilton und David Hockney, deren Werke untrennbar mit dieser Bewegung verbunden waren – es waren jedoch die Werke vom europäischen Festland, die am meisten faszinierten.

Im Vergleich mit den skurrilen Produktionen aus dem anglo-amerikanischen Raum, formierte sich mit dem eisernen Vorhang und der tiefen Spaltung in Ost und West in Mitteleuropa eine vollkommen andere Ausgangssituation. Die eine Hälfte wurde mit Werbung und der Celebrity-Kultur als Indikator für Erfolg überschwemmt, während dies alles für die andere Hälfte ein fremdes Konzept darstellte. Im Osten herrschte strenge Linie gegen jeden Wettbewerb, auf dem die Konsumkultur beruhte.

Das Werk The Smile vom polnischen Künstler Jerzy Ryszard Zielinski kritisiert die sozialpolitische Lage im Ostblock: Die weiße Oberlippe ist mittels dreier Kreuzstiche mit der roten Unterlippe fest vernäht – mit den Farben der polnischen Flagge wird hierbei unmissverständlichen das aufdiktierte Schweigen im repressiven Regime vor Solidarność deutlich. Dem diametral gegenüber steht das Tongues and Lips Logo der Rolling Stones, was im Westen zum Symbol des Antiautoritären avancierte.

Auch Amerika kam unter kreativen Beschuss durch europäische Künstler. Der Franzose Bernard Rancillac kritisierte mit seinem Werk Enfin silhouette affinée jusqu’à la taille (Endlich eine auf die Taille hin verfeinerte Silhouette) die Teilnahme Amerikas am Vietnamkrieg: Inmitten des Dschungelsettings des Krieges hängen vom oberen Bildrand Damentorsen mit Bustiers herab, während in der unteren Bildhälfte amerikanische Soldaten ein Mitglied des Vietcong foltern.

Bernard Rancillac, Enfin silhouette affinée jusqu’à la taille (1966)

Pop Art war in der Art und Weise wie sie die Celebrity-Kultur und Politik vereinte eine prophetische Kunstbewegung. Es war vielleicht der unfreiwillige Weitblick Warhols und seiner Pop Art Genossen, beide Elemente in einer Zeit zu verschmelzen, in der das Privatleben der Politiker immer mehr in die Öffentlichkeit gezogen wurde oder sogar dort stattfand. Was mit den außerehelichen Liebschaften des charmanten John F. Kennedy begann, hat sich heutzutage zu einem Reality-TV-Show Moderator entwickelt, der das mächtigste Land der Welt regiert.

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