Kunstgeschichte  •  Kunstwerke unter der Lupe

Caféterrasse am Abend (1888) – Vincent van Goghs Ode an Arles

Mit Caféterrasse am Abend hat Vincent van Gogh eine verträumte Nachtszene rund um ein Café in seiner geliebten Wahlheimat Arles festgehalten. Es ist eines von 187 Gemälden, die in den Jahren 1888 und 1889 in Südfrankreich entstanden sind und zusammen als Arles-Periode bezeichnet werden. In diesem Beitrag geht Singulart auf die Komposition von Caféterrasse am Abend ein, auf van Goghs Beziehung zu Arles und auf eine Theorie über Vincent van Goghs Gemälde und Leonardo da Vincis Das Abendmahl.

Van Gogh und Arles 

1888 hatte van Gogh genug vom hektischen Leben in Paris und wollte die Sonne im Süden des Landes genießen. Er nahm einen Zug Richtung Provence mit dem Ziel Marseille; in Arles wollte er eigentlich nur einen kurzen Zwischenstopp einlegen. Verzaubert von der Kleinstadt, setzte van Gogh seine Reise nach Marseille jedoch nie fort, sondern blieb stattdessen für 14 Monate in Arles. Van Gogh stürzte sich in seine Malerei, darunter Porträts und Stillleben. An seinen Bruder Theo schrieb er, er male Sonnenblumen „mit der Begeisterung eines Marseillers, der Bouillabaisse isst“.

Nach einigen Monaten in Arles mietete van Gogh das Gelbe Haus, das er später in seinem gleichnamigen Kunstwerk darstellte. Zusätzliche Energie erhielt er durch die Ankunft seines Freundes Paul Gauguin, der zwei Monate lang mit van Gogh im Gelben Haus wohnte. Die zwei temperamentvollen Malerkollegen gerieten jedoch mehrfach aneinander. Eine ihrer Streitigkeiten gipfelte darin, dass van Gogh sich einen Teil seines Ohrs abschnitt.

Paul Gauguin
Selbstporträt (1893), Paul Gauguin

Aufgrund des hohen Blutverlusts wurde van Gogh zum ersten Mal ins Krankenhaus von Arles eingewiesen. Im Laufe der nächsten Monate kam es zu weiteren Vorfällen, und van Gogh verbrachte immer wieder einige Tage im Krankenhaus. Sein unberechenbares Verhalten verängstigte die Bewohner der Stadt, durch deren Petition es zu einer Zwangseinweisung in die Psychiatrie kam. Einen Monat nach seiner Entlassung entschied sich van Gogh im Mai 1889, Arles zu verlassen, und ließ sich freiwillig in eine nahegelegene Nervenheilanstalt in Saint-Rémy-de-Provence einweisen.

Komposition von Caféterrasse am Abend

Van Gogh hatte ein großes Faible für das Malen des nächtlichen Himmels. Zusammen mit den Werken Sternennacht über der Rhône und Sternennacht bildet Caféterrasse am Abend eine Trilogie von Gemälden mit Sternenhimmel. Dabei ist es van Gogh gelungen, eine nächtliche Szene ohne die Farbe Schwarz darzustellen. An seine Schwester Wil schrieb er:

„Hier haben wir ein Nachtbild ohne jegliches Schwarz, mit nichts als schönem Blau und Violett und Grün, und in dieser Atmosphäre nimmt der beleuchtete Platz eine fahle schwefel- und grünlich-zitronengelbe Farbe an. Es macht mir ungeheuren Spaß, die Nacht vor Ort zu malen.“

Statt Schwarz einzusetzen, wird die Szene von warmen Gelbtönen im Kontrast zu tiefen Blautönen erhellt, die dem Gemälde Wärme und Leuchtkraft verleihen. Nach der Fertigstellung von Caféterrasse am Abend beschrieb van Gogh das Bild in einem Brief an Wil:

„Auf der Terrasse sind kleine Figuren von Menschen, die trinken. Eine große gelbe Laterne beleuchtet die Terrasse, die Fassade, den Gehsteig und projiziert sogar Licht über das Kopfsteinpflaster der Straße, das einen violett-rosa Farbton annimmt. Die Giebel der Häuser an einer Straße, die unter dem blauen, mit Sternen übersäten Himmel wegführt, sind dunkelblau oder violett, mit einem grünen Baum…“

Weiter schrieb er:

„Es stimmt schon, dass ich in der Dunkelheit vielleicht einen Blauton für einen Grünton halte, ein bläuliches Lila für ein violettes Lila, weil man die Natur des Tons nicht klar erkennen kann. Aber es ist die einzige Möglichkeit, von der gewöhnlichen Nacht in Schwarz mit einem armselig blassen, weißlichen Licht wegzukommen, während uns schon allein eine Kerze die sattesten Gelb- und Orangetöne schenkt.“

van gogh starry night over the rhone
Starry Night Over the Rhône (1888)

Van Goghs Werk wird dem Post-Impressionismus zugerechnet, und Caféterrasse am Abend verdeutlicht, warum. Van Gogh übernahm einige Elemente des damals aktuellen Kunststils des Impressionismus, indem er etwa vor Ort malte. Er stellte seine Staffelei gegenüber dem Café auf und ließ sich von dem inspirieren, was er unmittelbar vor sich sah. Allerdings fügte er auch einige Elemente aus seiner Fantasie hinzu, die seine persönlichen Gefühle für sein geliebtes Café in Arles ausdrücken.

Seine Pinselführung passt ebenso zum Impressionismus: Gleichsam lebendig wie strukturiert, verleiht sie dem Bild Leben. In Caféterrasse am Abend ist auch der Ursprung des durch das Gemälde Sternennacht so berühmt gewordenen Sternenhimmels von van Gogh zu sehen. Seine Wertschätzung für den nächtlichen Himmel zeigt sich zudem daran, dass die Sternkonstellationen in dem Werk eine direkte Wiedergabe derer sind, die er am 16. oder 17. September 1888 am Himmel über Arles gesehen haben könnte.

Vergleiche mit Das Abendmahl

Um 2015 kamen Theorien auf, wonach van Goghs Caféterrasse am Abend als Hommage an Das Abendmahl von Leonardo da Vinci gesehen werden kann. Der US-amerikanische Akademiker Jared Baxter bezieht sich darauf, dass van Gogh zur Entstehungszeit von Caféterrasse am Abend in einem Brief an seinen Bruder Theo schrieb, dass er ein „enormes Bedürfnis nach – wie soll ich sagen – Religion“ habe.

Baxter argumentiert, dass es Parallelen zwischen den Figuren in van Goghs Bild und da Vincis Das Abendmahl gäbe: Es sind jeweils zwölf sitzende Personen, die eine zentrale, langhaarige Figur umgeben, während sich mindestens eine Figur im Schatten befindet. Zudem meint Baxter, christliche Symbolik wäre in van Goghs Gemälde versteckt, etwa in der Form von Kreuzen wie dem Fensterkreuz hinter der stehenden, langhaarigen Figur.

Vincent van Goghs Caféterrasse am Abend ist im Kröller-Müller Museum im niederländischen Otterlo ausgestellt.

Sehen Sie sich hier die Künstler auf Singulart an, die von den Werken van Goghs inspiriert wurden.