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Stilllebenmalerei gestern und heute

Das Stillleben als Bildthema gab es bereits in der Antike, dann jedoch verschwand es für einige Zeit von der Bildfläche. Die „autonome“ Darstellung von Gegenständen, ganz ohne Personen, die mit ihnen interagieren, verbreitete sich erst wieder im Goldenen Zeitalter der Niederlande. Bis heute ist das Genre für die Kunst in seinen verschiedenen Formen von großer Bedeutung und zieht sich als roter Faden vom Ende des 16. Jahrhunderts bis ins zeitgenössischen Kunstschaffen. Begeben Sie sich mit Singulart auf die Reise in die Stilllebenmalerei von gestern und heute.

Ein Blick in die Geschichte des Genres

Weshalb die Stillleben als eigenständige Kunstgattung in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wieder aufkamen, wird in der Forschung hitzig diskutiert. Es wurden verschiede Erklärungsansätze geliefert; die wohl schlagkräftigste bezieht sich auf die konfessionelle Situation in den Niederlanden. Ab 1550, also etwas später als in Deutschland durch Luther, durchdrangen calvinistisch-reformatorische Bewegungen die damals von den katholischen Habsburgern besetzten Niederlande. Durch Aufstände und Ikonoklasmen (Bilderzerstörungen) machten die Reformatoren klar, dass sie die Bildwerke im Kirchenraum ablehnten.

Ikonoklasmus Niederlande
Frans Hogenberg, Bildersturm, 1566, Kupferstich, Rijksmuseum, Amsterdam

Während dem 80-jährigen Krieg erkämpften sich die reformierten nördlichen Provinzen die Unabhängigkeit von der spanischen Krone, das ist in etwa das Gebiete der heutigen Niederlande. Die südlichen Provinzen, das heutige Belgien und Luxemburg, blieben unter spanisch-katholischer Herrschaft. Aufgrund der Ablehnung des religiösen Bildes unter den Reformatoren wurde den Künstlern zunächst ihre Existenzgrundlage genommen: Was sollten sie von nun an malen? Das unter dem Protestantismus aufstrebende Bürgertum formulierte neue Anforderungen an Gemälde und interessierte sich für andere Bildformen. Das aufkeimende Genre der Stilllebenmalerei vermittelte durch teils sehr wertvolle Gegenstände und exotische Früchte zum einen das große Selbstbewusstsein des neuen Bürgertums aber auch moralische Botschaften, wie Bewusstsein über die Vergänglichkeit und versteckte christologische Symbole. Alle Gegenstände besaßen eine Bedeutung, die der Betrachter entziffern musste.

Stillleben Pieter Aertsen
Eines der frühesten „autonomen“ Stillleben vom Amsterdamer Maler Pieter Aertsen von 1551.

Die Stilllebenmalerei heute

Von den historischen konfessionellen Streitigkeiten losgelöst, hat das Stillleben nicht an Aktualität für heutige Künstler und Sammler verloren. Wie vielfältig die zeitgenössischen Kunstschaffenden dieses Genre interpretieren, möchten wir Ihnen anhand einiger ausgewählter Künstler auf Singulart zeigen.

Die alten Meister als Vorbilder

Einige zeitgenössische Stillleben beziehen sich dezidiert auf ihre historischen Vorgänger, zeigen die gleichen Objekte und reproduzieren deren Arrangements sowie Bildausschnitte. Die Grundlage für diese Werke ist dabei ein genaues Studium der alten Meister sowie historischer Gegenstände und Stoffe. Ein schönes Beispiel hierfür sind die historisierenden Stillleben Sergey Teplyakovs. Er führt uns mit seinen detailgenauen Malereien in die Formensprache des 17. Jahrhunderts zurück.

Stillleben Teplyakov
Links ein Stillleben des Malers Pieters Claesz. von ca. 1635 und rechts eines unseres Künstlers Sergey Teplyakov aus 2017.

Optische Phänomene

Andere zeitgenössische Künstler hingegen legen bei ihren Stillleben mehr Wert auf optische Phänomene. Das Werk Chli Massaros fungiert dabei fast als naturwissenschaftliche Studie indem es uns die optische Verzerrung zweier Gegenstände durch das sich vor ihnen befindliche Glas vor Augen führt. Unerlässlich war hierbei das akribische Studium dieses Arrangements.

Still Life Chli Massaro
Instantané 3 (2016), Chli Massaro, Belgien

Verzerrung der Wirklichkeit

Ein Stillleben bedeutet nicht zwingend eine detailgenaue Darstellung der Gegenstände. Wie eine Studie der Verzerrung der Wirklichkeit aussehen kann, zeigt uns auf eindrückliche Weise der Maler Grigori Dor. Die gestapelten Gegenstände scheinen den Gesetzen der Schwerkraft zu trotzen: Der Wellensittich scheint zu schweben, der Schädelknochen eines Rindes balanciert auf einer Blume und unter alldem scheint eine rosafarbene Masse zu zerlaufen. Den einzigen optischen Halt gibt die räumlich angedeutete Zimmerecke. Die abstrakten Formen hinter dem Stillleben sowie das optisch verzerrte winkelartige Gegenstand links verstärken dieses Spiel mit der Verzerrung der Seherfahrung.

Still Life Gregori Dor
Still Life With A Lovebird (2016), Grigori Dor, Deutschland

Sie möchten sich noch weiter in der Welt der Stilllebenmalerei treiben lassen? Dann schauen Sie sich unsere Sammlung von Stillleben auf Singulart an. Entdecken Sie die Magie der Dinge!