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Andreas Gurskys Landschaftsbilder

Andreas Gursky ist vor allem für seine ab den 1980er Jahren entstandenen, großformatigen Fotografien bekannt, die nicht selten aufgrund ihres weiten Formats und ihrer high-angle-Perspektive an kinderbuchartige Such- oder Wimmelbilder erinnern. Motive aus der Natur und verschiedene Formen von Landschaften sind in Gurskys Werk ein fester Bestandteil. Seit den 1990er Jahren bedient er sich der elektronischen Bildbearbeitung, um die Komposition seiner Bilder noch zu verschärfen. Manchmal sind diese Bild-Manipulationen auf den ersten Blick zu erkennen, zum Teil entfaltet die nachträgliche Bearbeitung der Fotografien aber auch eine subtilere Wirkung – dann nämlich, wenn man ihr erst auf den zweiten Blick gewahr wird. Andreas Gurskys Landschaftsbilder zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen immer eine Spur des Menschen zu finden ist. Dabei thematisiert er Naturphänomene, artifizielle und instrumentalisierte Natur.

Der Mensch in der Natur

Einige von Andreas Gurskys Landschaftsbilder zeigen Motive, die Erhabenheit ausstrahlen. Massive Felsformationen (Klausenpass, 1984, Dolomiten, Seilbahn, 1987 oder Engadin I, 1995 und Engadin II, 2006) oder der rauschende Wasserfall (Niagara Falls, 1989). Es sind Aufnahmen gewaltiger Naturphänomene, aber – verstreut oder wie Ameisen hintereinander aufgereiht – erblickt man in ihnen den Menschen. Man könnte ihn in einigen Bildern fast übersehen; in Dolomiten, Seilbahn (1987) z. B. ist es bloß ein kleiner, mittiger Fleck, der sich als Seilbahnkabine herausstellt. Da dieser Fleck jedoch genau die Bildmitte bildet, wird man dazu verleitet, selbst in dieser unwirklichen, vom Nebel verschleierten Landschaft den Mensch als Mittelpunkt des Geschehens zu deuten. Durch das gewählte Format wirken die Personen winzig, fast teilnahmslos in die Landschaft gesetzt wie Spielzeugfiguren. Doch mehr noch, als dass die Bilder die Unbedeutendheit der winzigen Menschen im Vergleich zur gewaltigen Natur zeigen, zeigen sie vor allem eins: die Eroberung jeglicher Naturräume durch den Menschen. Auf eklatante Weise führen die Fotografien uns vor Augen, dass es keinen Fleck Erde gibt, der nicht berührt, erforscht oder zum Ausflugsziel degradiert wurde. Auf eindringliche Weise zeigen diese Bilder, dass die erhabene Natur zu einer Kulisse für Urlaubsbilder geworden ist; sie ist ein Produkt, das von Statisten konsumiert wird.

Artifizielle Natur

Neben diesen Landschaftsfotografien gibt es eine Reihe von Bildern, die auf den ersten Blick fast abstrakt wirken und ebenfalls unseren Umgang mit Natur thematisieren. In gewisser Weise handelt es sich auch hier um „Landschafts“-Bilder, allerdings zeigen sie eine stark kultivierte, abstrahiert dargestellte, künstlich vom Menschen arrangierte Natur. Beispiele für diese Bilder sind u. a. Rhein II (1999), Beelitz (2007), die Tulpen- und Hyazinthenfelder (Ohne Titel XVIII-XXI, 2015–2016) sowie Bahrain I (2005) und Bahrain II (2007) oder auch die Aufnahmen der künstlichen Inselgruppen in Dubai (Dubai World I, 2007 und Dubai World II, 2008).  Die digital bearbeitete Fotografie Beelitz von 2007 zeigt bei genauerem Hinsehen ein Spargelfeld. Die abstrakte Linienkonstruktion, die sich aus dem Schwarz der Plastikabdeckungen und dem Graubraun des sandigen Bodens ergibt, wird an einigen Stellen unterbrochen, an denen die einzelnen Erntehelfer zum Vorschein kommen. Kompositorisch ähnlich funktionieren die Tulpenfelder-Fotografien (z. B. Ohne Titel XVIII, 2015), allerdings verzichtet Gursky hier auf Menschen im Bild, die zur einfacheren Identifikation des Bildgegenstandes vielleicht hätten beitragen können. Die Betonung der Vertikalen und die Farbwahl erinnert an die Farbfeldmalerei Mark Rothkos. Der hohe Grad der Abstraktion rückt die Fotografien in die Nähe der Malerei. So auch bei den Bahrain-Bildern (Bahrain II, 2007). Hier verraten nur die weiß-roten Umrandungen der Straßen und die Werbeflächen, dass es sich um Asphalt und Wüstensand handelt. Auch die nachträglich digital bearbeiteten Rhein-Bilder (Rhein II, 1999), die eigentlich nur aus vertikalen, abwechselnd grünen und grauen Flächen bestehen, erinnern an Werke der Hard-Edge-Malerei. Die Künstlichkeit vermeintlich „natürlicher“ Landschaften und die Gewalt, mit der der Mensch im wahrsten Sinne des Wortes in den Verlauf der Natur eingreift (beispielweise bei der Begradigung von Flüssen), werden hier auf einen Blick ersichtlich. Diese „Landschaften“ haben nichts mehr mit unserer alltäglichen Vorstellung von schöner Natur oder Landschaft gemein. Sie wirken in einem hohen Maß artifiziell und haben doch etwas ästhetisch Ansprechendes an sich. Auf eher subtile Art führen Andreas Gurskys Landschaftsbilder der Betrachterin oder dem Betrachter mittels Abstraktion unsere Entfremdung von der vollends instrumentalisierten Natur vor Augen. 

Les Mées, 2006

Instrumentalisierung der Natur

Gursky klagt aber auch den Umgang mit der Natur auf plakative Art und Weise an . Greeley (2002) und Fukuyama (2004) thematisieren die enormen Ausmaße, die die Massentierhaltung annimmt; Werke wie Ohne Titel XIII (2002) und El Ejido (2017) prangern die Umweltverschmutzung (allgemein und in Folge intensiver industrieller Landwirtschaft) an. Die Instrumentalisierung und Aneignung von natürlichem Raum wird auch in dem 2016 entstandenen Werk Les Mées ersichtlich, die eine hügelige, südfranzösische Landschaft zeigt, auf die sich eine fast geschlossene Decke von Photovoltaik-Anlagen legt. Lediglich die im Hintergrund zu sehende Gebirgskette erinnert noch an eine vergangene Postkartenidylle. Einer Wertung – ob es sich bei dieser Anlage nun um eine Verschandelung der Natur oder um einen notwendigen, zu begrüßenden Schritt in Richtung sauberer Energiequellen handelt – entzieht sich die Fotografie. Allein die Expansionsbestrebungen des Menschen werden hier auf besondere Art und Weise zur Anschauung gebracht. Trotz ihrer offensichtlichen Anklage entsprechen selbst diese Bilder der für Gursky typischen Ästhetik. Ihre klare Komposition, das von Landschaftsaufnahmen entlehnte Format, stimmige Farbkonzepte und die Detailfülle machen selbst diese Motive interessant und angenehm anzusehen.

Der Umgang von Mensch in der Natur

In Andreas Gurskys Landschaftsbildern findet auch eine werkimmanente Thematisierung des eigenen Mediums statt. Seine zum Teil offensichtlich digital bearbeiteten Fotografien stellen die Wahrhaftigkeit des Mediums Fotografie in Frage. Zugleich thematisiert er mit den gewählten Motiven den Umgang des Menschen mit der Natur. Seine Bilder wirken wie eine düstere Bestandsaufnahme unserer hochindustrialisierten, konsumorientierten Gesellschaft, die durch den wimmelbildartigen Charakter oder die abstrakte Schönheit der Aufnahmen in eine eigentümliche Heiterkeit und Unbefangenheit gekleidet ist. Was wir sehen, ist instrumentalisierte Natur, hochgradig artifizielle Natur – erinnert sei an die Dubai-Inseln – oder geschundene Natur.